Altersbestimmung durch Kraterzählung?
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Altersbestimmung durch Kraterzählung?
von Hannes am 11.02.2015 10:14Es ist bekannt, dass auch heute noch die Altersbestimmung von Planeten und Monden aus Gestein durch die Zählung von Kratern erfolgt, z.B. durch Prof. Neukum, dessen Name auf ESA-Fotos zu finden ist und der als „Kapazität" auf diesem Gebiet gilt. Die gezählten Krater werden alle als Einschlagskrater vom Himmelskörpern angesehen.
Das ist m.E. ein kindlich-naiver Glaube und meiner Meinung nach außerdem grober, unwissenschaftlicher Unfug!
Hier nur einige Gegenargumente:
1) Krater können durch spätere Prozesse und deren Ablagerungen lokal verdeckt werden, d.h. das betreffende Gebiet wird dadurch dort scheinbar jünger.
2) Kleine Krater können durch spätere große Krater verdeckt werden, d.h. das betreffende Gebiet wird ebenfalls scheinbar jünger.
3) Die Kraterzählung ignoriert völlig die Möglichkeit, dass in einem kurze Zeit andauerndem Großereignis eine Vielzahl von Kratern erschaffen werden kann, d.h. die angenommene zeitliche Gleichverteilung von Einschlägen ist dubios und das Alter kann nicht einfach an der Zahl der Krater hochgerechnet werden. Dazu kommt noch, dass sich diese Einschläge bei einem Kurzzeitereignis lokal auf bestimmte Teile des Himmelskörpers konzentrieren können und dieses Gebiet scheinbar älter werden lassen.
4) Es bleibt völlig im Dunklen, ab welcher Größe die Krater gezählt werden und ob und wie diese verschiedenen Kratergrößen zueinander ins Verhältnis gesetzt werden, d.h. ist ein Gebiet mit sehr vielen kleinen Kratern älter als ein Gebiet mit wenigen großen Kratern?
5) Es wird nicht der Tatsache Rechung getragen, dass durch wieder zum Himmelskörper hinab fallende Trümmerteile Sekundärkrater entstehen können, was die Aussagen der Kraterzähler zwangsläufig verfälschen muss.
6) Alle Krater werden als Ergebnis von einschlagenden festen Körpern angesehen, d.h. andere mögliche Ursachen, wie z.B. elektrische Entladungen, die in einem Plasmauniversum vorkommen müsse, werden einfach ignoriert.
Es ist mir aus diesen und anderen Gründen rätselhaft, wie die Kraterzähler ihre Methode als wissenschaftlich verstehen können und es interessiert mich, ob jemand weiß, welche Gründe sie für die Richtigkeit ihre Vorgehensweise ins Feld führen oder welche einfach zugängliche Literatur oder Artikel dazu im Internet existieren (meine Suchergebnisse waren eher dürftig)?
Alles scheint irgendwie darauf hinauszulaufen, dass sie annehmen, dass jeder Himmelskörper, ob Felsplanet oder felsiger Mond, von allen Seiten her über lange Zeiträume fast völlig gleichmäßig mit anderen, kleineren Himmelskörpern beschossen wird. Nur das angebliche „große Bombardement" der Erde (und anderer Planeten?) zur Zeit des vermuteten Anfanges unseres Sonnensystems scheinen sie irgendwie abzugrenzen, aber wie und auf welcher Grundlage sie das tun, ist mir auch unklar. Nach ihrer Logik können nur Prozesse auf dem beschossenen Objekt selbst die Oberfläche ändern und für ein unterschiedliches "Alter" der Oberflächen dort sorgen. Gebiete mit wenigen sichtbaren Krater sollen daher "jung" sein. Irgendwie entzieht sich mir dabei, was sie als "Eichmaß" für die Altersbestimmung verwenden.
Wer weiß mehr darüber?
Re: Altersbestimmung durch Kraterzählung?
von Phil am 11.02.2015 13:36Die Methode scheint auf den ersten Blick nicht wirklich wichtig zu sein in der Astronomie. Die Schätzung erfolgt gemäß der Kraterzahl auf dem Mond und der Datierung der Proben, die zur Erde gebracht wurden. Selbst Wikipedia hat in englisch nur ein paar Sätze - auf deutsch nicht einmal einen Eintrag dazu - und die Quellen leiten alle zur Artikeln, welche die Methode kritisieren.
Du hast zwar recht damit, dass sie sehr unzuverlässig ist, aber ich glaube du überschätzt ihre Bedeutung.
Re: Altersbestimmung durch Kraterzählung?
von Hannes am 11.02.2015 15:56Danke für die schnelle Antwort, Phil,
aber ich habe aus gegebenem Anlass nach meinem Besuch von NASA- und ESA-Webseiten gefragt und glaube nicht, dass das nur eine völlig nebensächliche Angelegenheit ist.
Die Methode wird z.B. allen Ernstes zur Altersbestimmung von Marsoberflächen genutzt und Prof. Neukum/ESA hat deshalb hoch emotionale und sehr fragwürdige Kommentare über US-Forscher gemacht, die vor einiger Zeit ein eher kleineres Problem der Kraterzählerei - die Sekundärkrater - ansprachen und die Kraterzählerei in Frage stellten. Kein Wunder. Neukum soll DER Experte unter den Kraterzählern sein, was mich schon böses ahnen lässt, wenn es um Aufgeschlossenheit für prinzipiell Neues oder gar elektromagnetische Phänomene geht.
Und jetzt stellt sich mir gleich die neue Frage, wie man von Kraterzählungen auf dem Mond auf den Mars schließen können soll?
Re: Altersbestimmung durch Kraterzählung?
von Phil am 11.02.2015 19:58Schätze mal die Annahme ist, dass Krater auf dem Mond und auf dem Mars eine ähnliche Lebensdauer haben, weil die Atmosphäre des Mars recht dünn ist und Erosion so gut wie vernachlässigbar ist. Aus dem Bauch heraus würde ich die Methode auch für sehr Fehleranfällig halten.
Re: Altersbestimmung durch Kraterzählung?
von Hannes am 12.02.2015 12:46Die 1. Grundannahme ist m.E. sicher, dass alle Körper im System etwas über 4 Mrd. Jahre alt sind, die 2. Grundannahme, die von Dir genannte. Dann müssen die ältesten Regionen jedes Körpers über 4 Milliarden Jahre alt sein und die meisten Krater zeigen. Das Alter der anderen kann dann runtergerechnet werden an Hand der Kraterzahlen, hauptsächlich wird die Methode aber scheinbar zur relativen Altersbestimmung genutzt, was die Sache nicht wirklich besser macht.
Die Fehlerträchtigkeit dieser Methode scheint zumindestens für die Department of Astronomy der University of Washington gar kein Thema zu sein. Siehe: Crater counting
Die Kraterzählerei ist offenbar Schul- bzw. Lernstoff (siehe Link oben) und an anderer Stelle habe ich gelesen, dass die NASA sogar Schüler zur Mitwirkung beim Kraterzählen aufgerufen hat.
Mir fehlen einfach die Worte!
Re: Altersbestimmung durch Kraterzählung?
von Phil am 13.02.2015 16:12@Hannes:
Im Fall des Mondes und verschiedenen Regionen auf demselben sehe ich das weniger kritisch, immerhin konnte man die Proben untersuchen und es handelt sich um den selben Himmelskörper. Wenn man daraus auf Asterioden schließt, von denen keine Proben verfügbar sind, dann sieht das natürlich ganz anders aus.
Re: Altersbestimmung durch Kraterzählung?
von Hannes am 22.02.2015 14:52Mir ist leider entgangen, dass der Mann, der in Deutschland in 1. Reihe für die Methode der Kraterzählung stand, bereits im vergangenen Herbst gestorben ist. In diesem Link wird er für seine wissenschaftliche Lebensleistung völlig berechtigt gewürdigt.
Der Kraterzähler Gerhard Neukum ist tot
Ich kann seine Faszination für Krater durchaus nachvollziehen, trotzdem lehne ich die Kraterzählerei als Methode der absoluten Altersbestimmung ab und selbst für die relative Altersbestimmung würde sie nur dann etwas taugen, wenn man die Rahmenbedingungen bereits sehr genau kennt und mit absoluter Sicherheit ein Großereignis mit massenhaften Kratern im Gefolge ausschließen könnte. Das erscheint mir aber wenig wahrscheinlich.
Ich habe bisher nicht einen einzigen Artikel gefunden, der in wissenschaftlicher Manier alle Schwächen und Fehlergefahren der Methode diskutiert. Probleme werden bestenfalls am Rande behandelt (selbst in einer von mir durchsuchten Promotion) und es wird auf „unzureichend qualifizierte" Kraterzähler hingewiesen. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es keine wirklich kritische Wertung geben soll, bin daher jedem dankbar, der mich auf solch ein Paper verweisen kann.
@Phil
Ich hatte bereits einige Links gesammelt, die sich leider nur oberflächlich mit den Problemen beschäftigten und auch o.g. Promotion, nur habe ich die Datei irgendwo untergebuttert oder versehentlich gelöscht. Im Moment werde ich nicht weiter suchen, da ich wichtigeres zu tun habe, siehe Mars-Doku.
Re: Altersbestimmung durch Kraterzählung?
von Hannes am 22.02.2015 15:43Und dieser Satz aus dem o.g. verlinkten Artikel bzw. Nachruf lässt auch nicht mehr die Behauptung zu, dass Altersbestimmungdurch Kraterzählung nur eine Randerscheinung in der Astronomie ist:
Abgesehen davon, dass das massenhafte Wasser des Mars in früheren Zeiten auch fragwürdig ist und der NASA noch sehr hart auf die Füße fallen könnte, stellt sich mir erneut die Frage, warum diese Methode überhaupt als wissenschaftliche akzeptiert wird.
Re: Altersbestimmung durch Kraterzählung?
von Hannes am 01.05.2015 21:29Und da ich durch Zufall gerade drauf gestoßen bin: Eine ältere Meldung die erstens erneut beweist, dass Kraterzählung eine wichtige Methode der Altersbestimmung ist und zweitens offenbar Ursache der emotionalen Stellungnahme des Prof. Neukum war, der dadurch wohl sein Lebenswerk im Bereich der Kraterzählung gefährdet sah.
Original siehe: Crater count led Mars historians astray
• 09:45 28 March 2005 by David L Chandler, Houston
The method used by planetary scientists to estimate the ages of various regions of Mars is flawed. "
This really changes things," says Nadine Barlow of Northern Arizona University in Flagstaff, US. For instance, the findings will significantly change our understanding of when Mars may have been volcanically active.
To estimate the age of any region on Mars, geologists count the number of meteor craters they can see in images of the area. The idea is that the older a surface, the more craters should have accumulated over time. Crater counts give an indication of the relative age of different Martian regions.
To determine absolute ages, these counts are then compared with crater counts from regions of the moon, some of which have been precisely dated thanks to the rocks brought back by the Apollo astronauts. Assuming that the rate of meteor impacts at any given time was roughly uniform throughout the inner solar system, those ages should translate directly to Mars.
Plumes of rock
Now it seems there is a fatal flaw in this method, at least when it is based on counts of very small craters. According to Barlow, recent infrared images taken by NASA's Mars Odyssey spacecraft have unexpectedly revealed very long ray patterns around even relatively small craters, showing that much more material was ejected by meteor impacts than had been calculated. Massive plumes of ejected rock would have rained down to produce, in some cases, millions of secondary craters.
It means the vast majority of craters smaller than 2 kilometres in diameter may be secondary craters, making them virtually useless for dating surfaces, says Al McEwen of the University of Arizona in Tucson, US. For example, McEwen studied a 10-kilometre Martian crater called Zunil. The impact of the meteor that produced it could have created millions of secondary craters thousands of kilometres away from the main impact.
William Bottke of the Southwest Research Institute in Boulder, Colorado, US, who is an expert on the dynamics of the asteroid belt, also concludes that small craters are predominantly secondaries. He says there are just not enough small objects in the asteroid belt to account for the observed rates of small impacts on Mars. "Small craters may not be telling you much," Bottke says.
Some crater-free areas on Mars have been estimated to be only about 150,000 years old. But based on the new findings, McEwen concludes that the age of such regions can only be pinned down to within 10 million years. And such uncertainty will remain until actual rock samples from Mars are dated. Bottke agrees: "We probably can only set rough limits."