Essai: Die Wahrheit ist eine Lüge
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Spacerat
Gelöschter Benutzer
Re: Essai: Die Wahrheit ist eine Lüge
von Spacerat am 10.05.2014 06:11Als Lüge würde ich die Wahrheit nicht wirklich bezeichnen. Ich bin da eher dieser Ansicht:
(Jiddu Krishnamurti)
Norman
Gelöschter Benutzer
Re: Essai: Die Wahrheit ist eine Lüge
von Norman am 12.05.2014 15:02
Hallo Spacerat,
der Titel des Essais ist ein bewusst gewähltes Paradoxon.
Wahrheit und Lüge sind beides menschliche Konzepte, genauso wie die Zeit und der Raum. Mit unseren körperlichen Sinnen können wir nur einen Bruchteil der Welt erfassen. Hierdurch wird unsere Wahrnehmung schon verzerrt, da unser Denken sich von einer Welt umgeben betrachtet, und weniger als Teil des Ganzen. Cogito ergo sum, so scheint es eine Wirklichkeit zu geben. Doch noch weniger als jener Input, welcher unserem Gehirn zu Interpretation der Wirklichkeit zur Verfügung steht, können wir in Worten fassen. Eine ganzheitliche Wahrheit lässt sich somit nicht in Worten oder Zahlen niederschreiben (weder in Sprache, noch in Mathematik). Daher sollte man keiner verkündeten Wahrheit Glauben schenken. Es kommt immer auf die Perspektive der Betrachtung an. Und nichts anderes lese ich aus dem Zitat von Krishnamurti heraus.
Kleines Koan dazu:
Wenn man seine Realität verändert, indem man die eigenen Submodalitäten verändert, verändert sich dadurch auch die Wirklichkeit?
Spacerat
Gelöschter Benutzer
Re: Essai: Die Wahrheit ist eine Lüge
von Spacerat am 12.05.2014 16:34Ok, dann sind wir uns ja einig, denn nichts anderes lässt sich aus JKs Worten herauslesen. Infolge dessen, bin ich (mal wieder ;)) für die Einführung von Ironie-Tags. Es gibt keine Wahrheit, demzufolge auch keine Lüge. Wahrheit ist das, was man Aufgrund seiner Erfahrung als solche empfindet und alles andere muss deswegen gelogen sein, bis man selber genauer nachforscht.
MAW.: Realität == Wirklichkeit! Und wenn ich meine Realität/Wirklichkeit durch Fragestellungen und Experimente verändere, ändert sich eben auch nur meine, nicht aber jene anderer Menschen oder gar der Natur. Einige von solchen Erfahrungen, stellen ein Weltbild auch schon mal auf den Kopf, oder bestätigen die eigene Realität. So z.B. geschehen bei dem Plasmaversum - von dem ich sage, eigentlich hab ichs mir immer (bzw. schon länger) so vorgestellt - und mir. Daraus folgt, dass irgendwo tatsächlich eine all umfassende Wahrheit verborgen sein muss, die allerdings auf Erkenntnissen statt auf Bekenntnissen beruht.
Wenn ich drüber nachdenke, hätt ich mich ja auch nur mal nach dem Begriff "Essai" umsehen brauchen (ich sprech kein Französisch), dann hätt' ich möglicherweise sofort festgestellt, dass es sich bei diesem Faden nur um ein Experiment handelt.
Re: Essai: Die Wahrheit ist eine Lüge
von 1Alexander am 23.09.2014 21:44@Norman
Womit wir dann auch bei nächsten Punkt sind.
Ich habe nur noch eine kleine handverlesen Sammlung von Büchern. Ein paar Klassiker, ein paar Lieblingsbücher. Der Rest fliegt immer raus. Diese Buch gehört dazu, sei es darum, dass ich es mal an jemand weitergeben kann.
Ich halte es für das beste Buch von ihm. Wenn man dieses Buch gelesen hat
Norman
Gelöschter Benutzer
Re: Essai: Die Wahrheit ist eine Lüge
von Norman am 24.09.2014 22:41@Alexander
Sorry, ich habe mich wohl etwas ungeschickt ausgedrückt, bzw. bedenke ich nicht, dass andere Menschen die Rahmendefinition des Egos aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Wenn ich schreibe, dass ich es für wichtig halte die Menschen zu verstehen, dann schließt das in meiner Welt die eigene Person mit ein.
Meiner heutigen Perspektive liegt ein langer Entwicklungsprozess zugrunde (welcher noch nicht abgeschlossen ist, und wohl erst mit meinem Tod endet), in vielen Dingen sehe ich eine strake Verbindung, wo andere nur eine Trennung sehen. So fällt es mir inzwischen schwer andere Menschen zu hassen. Wenn hier und da, ab und an mal etwas Wut in meinen Körper aufkommt, dann richtet diese sich gegen die Handlung, nicht jedoch gegen die Person.
Auch liegt mir viel daran, andere Lebewesen nicht zu verletzen. Doch aufgrund der menschlichen Natur ist dies nicht möglich (z.B. durch Nahrungsaufnahme bedingt, trifft auch auf Vegetarier zu). Man kann es nicht allen Menschen recht machen, sobald man dies versucht, wird man von seinen Mitmenschen ausgelaugt. Sie bitten dich dann um dies und um das, der eine will jenes, ein anderer will anderes. Dabei kommt man immer mehr und mehr in Gewissenkonflikten, wobei man letztendlich nur noch mehr Schaden anrichtet.
Die Sehnsucht nach Perfektion scheint hierbei ebenfalls hinderlich zu sein. Oft ertappe ich mich dabei, bzw. habe ich den Eindruck, dass ich durch unbedachte Aussagen, andere Menschen gekränkt habe, bzw. dass sie sich durch meine Aussage angegriffen fühlten. Hinterher denkt man, diese hätte man besser Formulieren können, doch kann man das Vergangene nicht mehr ändern, dennoch kann man daraus etwas für die Zukunft lernen.
Hinzu kommt auch die individuelle Eigenverantwortung. Helfen ist ja gut und schön, doch nicht selten erlebe ich, dass die wohlgemeinte Hilfe mehr Leid verursacht, als sie lindert. Leid und Schmerz sind Interpretationen des Egos, und physikalisch nicht Existenz. Mitunter kann die Hilfe das Selbstwertgefühl des Geholfenen weiter schaden, da es den Glaubenssatz stärkt, auf Hilfe angewiesen zu sein.
In nahezu jeden Menschen ist die Fähigkeit verborgen sich vom Leid loszulösen, die Perspektive auf die Welt aus dem Zentrum des Egos heraus zu bewegen. Meiner Erfahrung nach, wollen die Menschen zwar das eigene Leid mindern, doch wenn man ihnen Perspektiven aufzeigt, so weigern sie sich aus der Bequemlichkeitszone des Egos heraus zu treten.
Wahrscheinlich ist es die Angst vor den Unbekannten, und so schlucken sie jeden Tag aufs Neue die bittere Pille ihres eigenen Selbst. So klagen sie über die Ungerechtigkeit, über das Elend, über die Machtlosigkeit usw. Sie klammern sich an vergängliches, und blenden ihre Sterblichkeit aus, soweit es nur geht. So sehe ich Tag für Tag unzählige Menschen, welche viel Wert auf Äußerlichkeiten legen. Sie legen Wert auf Mode, tragen teuren Schmuck, geraten in Wut über jeden Kratzer auf den Lack ihres Autos, und achten darauf, dass die Blumen vor ihrem Haus in Reihe und Glied wachsen. Alles muss gepflegt sein.
Sie achten so sehr auf ein gepflegtes Umfeld, dass sie dabei vollkommen vergessen, dass sie nur sterbliche Wesen sind. Den eigenen Körper, den schätzen nur die wenigsten. Sie gehen mit ihm um, als wäre er etwas, was man nach Lust und Laune wechseln könnte. Sie bevorzugen den Augenblick eines kurzen Genusses und verzichten dafür auf gesunde Nahrung, auf Kosten ihrer Gesundheit. Sie lassen zu, dass ihr Körpergewebe durch Bewegungsmangel immer mehr verwelkt, aufgrund von Bequemlichkeit. Sie lassen ihren Verstand verkümmern, durch Monotonie bei belangloser Unterhaltung.
Wie groß ist dann ihr Geschrei, wenn sie nach einigen Jahrzehnten der Exzesse die Rechnung ihres Lebensstiels begleichen müssen. Wie sehr klagen sie, wenn das Herz nicht mehr so will, die Gelenke schmerzen, wenn sie auf Gehhilfen angewiesen sind, wenn der Tumor wächst oder die Arterien verstopft sind? Erst jetzt begreifen sie ihre Sterblichkeit und würden all jene Dinge dafür geben, welche sie über Jahre angehäuft haben, nur um etwas wieder zubekommen, welches sie achtlos weggeworfen haben.
Viel zu oft unterliege ich der Versuchung die Menschen aufzurütteln, sie auf ihr selbstzerstörerisches Verhalten aufmerksam zu machen. Jedoch zieht man so schnell Zorn auf sich, da man sie aus ihrer Illusion der Sicherheit heraus reißt. Sie haben keinerlei Scheu, einem zu sagen, wie sehr man sie damit nervt, und anstatt etwas zu ändern, suchen sie lieber Ausreden, warum sie dies tun und jenes lassen müssen.
Daher versuche ich immer mehr einen recht schlichten Weg durchs Leben, jenen Weg der Anpassung. Es ist um ein vielfaches leichter sich selber zu verändern, als den Rest der Welt. Es ist einfacher nach seinen eigenen Gewissen zu leben, als Anderen ins Gewissen zu reden (dabei ertappe ich mich leider noch viel zu oft).
Oh, ich habe jetzt etwas länger ausgeholt als ich wollte, doch wenn man so schreibt, fließen manchmal die Gedanken aus einem nur so heraus.
PS: Vor etlichen Jahren hatte ich das Mahabharata gelesen, doch würde ich die Geschichte nur noch in sehr groben Zügen wiedergeben können. Das Buch von Alan Watts, welches du empfiehlst, werde ich mir auch noch zur Gemüte ziehen, doch wohl erst im nächsten Jahr, sofern ich da noch existiere.
Re: Essai: Die Wahrheit ist eine Lüge
von 1Alexander am 25.09.2014 16:32@Norman
Du hast ja die Zusammenhänge erkannt.
Du kennst sicherlich das Diktum der nichtdualen Sichtweisen. Anderseits ist es ein empirische Tatsache, dass den Mensch sein autonomes Bewußtsein ausmacht. Rational kann man sich herleiten, dass dieses ICH oder Ego nur
eine fiktionales Konzept ist. Wie geht das zusammen?
Es gibt Leute die üben sich in Meditation und unterziehen sich somit ein psychologisches Umerziehungsprogramm, um in den gelobten nichtdualen Zustand zu gelangen. Das kann vielleicht funktionieren, wenn man zwanzig Jahre in einem Kloster hocke. Ich bezweifle aber diesen Weg. Anderseits kann man nur wahrhaft meditieren, wenn bereits meditieren kann. Man kann sich auf die Matte setzen und so tun als ob, dann geht der Gedankenfasching aber so richtig los! Damit übt man allenfalls ruhig sitzen und meditativ auszusehen. Man will durch Meditation den wunschlosen Zustand erreichen, aber dieses Ansinnen stellt ja bereits einen Wunsch dar. Gefangen in der Dualitätsfalle! Der Vollständigkeit halber: Nun gibt neben der Meditation den Weg des Tantra, um im Yoga diese Widerspüche aufzulösen. Schließlich mündet das im Dzogchen, der beide Wege verwirft und mit robusten Kalenderweisheiten daherkommt. Was m. M. n. nach das Konzeptionelle dieser Wege insgesamt am besten reflektiert, was aber auch nicht weiterhilft.
Die Wahrheit der Dualität ist viel profaner. Wie schrieb Dante Alighieri in der Commedia: "Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!". Der geschulte Geist assoziert mit dieser Aussage sogleich die Hoffnungslosigkeit, womit die Dualität wieder zu Tage tritt. Das ist damit aber weder gesagt und noch gemeint. Er wird nur ausgedrückt, dass man die Hoffung weglassen soll, und nicht dass damit die Hoffnunglosigkeit auftaucht. Gute Mann, dieser Dante.
Man muß sich nur die Konzeptualität aller Begriffe vergegenwärtigen. Das kann man auch rational verstehen. Die Dualität ist aber nur ein Abbild dieser Konzeptualität und somit selbst nur ein Konzept.
Man muß im Alltagleben somit nicht pendeln zwischen Sicherheit/Unsicherheit, Vertrauen/Misstrauen, Innen/Außen, Schwarz/Weiß, Welt/Selbst etc., weil das nichts als leere Begriffe sind. Praktisch ausgedrückt bedeutet das z. B. Folgendes: Ich traue niemanden und misstraue auch niemanden. Dann sind für mich keine absoluten Größen. Manch einer ist mehr, der andere vielleicht weniger vertrauenswürdig. Das spielt natürlich Umgang mit Menschen eine Rolle. Aber ich befasse mich damit nicht und ich hänge mich daran auch nicht fest. Ich entscheide möglichst aus dem Moment und vermeide konzeptionelles Handeln und Lassen. Ich tue nur das, was im Moment geboten ist. Dafür brauche ich keinen Plan und kein Konzept. Der Moment trägt die Wahrheit. Man ist aber nur im Moment präsent, wenn man z. B. die momentaren Eindrücke nicht mit Konzepten abgleicht. Mit Konzepten gerät man nur in Konflikte und so verrinnt das schöne Leben.
Mit dieser Sichtweise erledigen sich viele Probleme. Ich muß nicht darüber sinnieren, ob es besser oder schlechter sei, dieses oder jenes zu tun oder zu lassen. Da wir das Thema Sicherheitsstreben des Menschen hatte: Wenn ich den Drang nach Sicherheit aufgebe, dann erlange ich damit keineswegs Unsicherheit und setze mich dieser auch nicht aus. Ich gebe lediglich ein Konzept auf, was in die Zukunft gerichte ohnehin völliger Quatsch ist. Wenn es regnet, dann stelle ich mich unter. Wenn ein Auto kommt gehe ich spontan beiseite. Das ist völlig konzeptlos.
Wenn Du schreibst:
Du bist vollständig frei.
Norman
Gelöschter Benutzer
Re: Essai: Die Wahrheit ist eine Lüge
von Norman am 25.09.2014 21:52@Alexander
Ja, die nichtduale Sichtweise ist mir vertraut, sowohl aus dem philosophischen Aspekt, wie auch aus der Trancearbeit.
Da stimme ich dir zu, die klassischen Meditationstechniken sind viel zu umständlich, und viele kommen trotz Jahre langer Übung nicht ans Ziel. Als ich, dass erste Mal dieses (ich nenn es jetzt einfach) Wow-Erlebnis hatte, befand ich mich zwar in einer leichten Trance, doch geschah es einfach. Wie, als wenn man aus einem Traum aufwacht.
Nach meiner eigenen Erfahrung bringt es nichts, wenn man versucht seinen inneren Dialog zu unterdrücken, da der Fokus nach wie vor Ich bezogen ist, nach dem Motto: „Ich darf jetzt nichts denken." Besser ist es den inneren Dialog einfach fließen zu lassen und ihm keinerlei Bedeutung beizumessen, dann stellt sich nach einer Weile die Ruhe von ganz alleine ein.
Auch kann man in irgendeiner Fantasiesprache denken ohne jeglichen Inhalt (z.B. Blah Blah Blub), dadurch folgt der Geist weiterhin seinen Redeimpuls, ohne dass der Fokus das Geschwätz interpretieren muss. Eine weitere Methode ist es die Stimme immer leiser werden zu lassen, dies kann man auch visualisieren, indem man sich eine/n Sprecher/in vorstellt, welcher sich immer weiter entfernt. Allgemein kann man durch das Verändern der Submodalitäten des inneren Dialoges sehr einfach seine Emotionen steuern, und wenn man dies erst einmal kann, ist es noch einfacher die Emotionen aus einer sehr neutralen Perspektive zu erleben.
Ich hoffe, ich habe mich halbwegs verständlich ausgedrückt.
Das Prinzip der Polarität, wie ich es nenne, ist natürlich nur ein Konzept, ein Produkt des menschlichen Geistes (Ego). Ich zitiere Laozi, laut der Übersetzung von Richard Wilhelm:
Wenn auf Erden alle das Schöne als schön erkenne,
so ist dadurch schon das Häßliche gesetzt.
Wenn auf Erden alle das Gute als gut erkennen,
so ist dadurch schon das Nichtgute gesetzt.
Denn Sein und Nichtsein erzeugen einander.
Schwer und Leicht vollenden einander.
Lang und Kurz gestalten einander.
Hoch und Tief verkehren einander.
Stimme und Ton sich vermählen einander.
Vorher und Nachher folgen einander.
Hier zitiere ich mich einmal selbst: „Ein guter Schachspieler denkt bis zu sieben Züge im Voraus, ein Meister nicht mal einen."
Sicherheit setzt Gewissheit voraus, und wenn man sich bewusst macht, dass die einzige Gewissheit im Leben der Tod ist, verliert alles andere an Bedeutung, und man beginnt wahrhaft zu leben. Sobald man akzeptiert, dass jeder Augenblick der letzte sein kann, ist man frei von Sorge.
Dennoch akzeptiere ich das Ego, schließlich hat es ja seinen biologischen Nutzen, nur setzte ich dem Ego keine große Bedeutung mehr bei. Eigentlich ist mein letzter Satz Murks, ein Ich, welches dem ich keine Bedeutung beimisst, ist an sich schon ein Paradoxon. Hier kommt die Thematik immer mehr und mehr an jene Grenze, welche sich nicht mehr in Worten fassen lässt. Besser ausgedrückt, wäre wohl: Es misst den Ego keine Bedeutung bei. Wobei Es immer noch eine Verdinglichung ist. Doch ist dort kein Ding, was irgendetwas macht, es geschieht einfach. Die Aussage, das Nichts misst dem Ego keine Bedeutung mehr bei, ist genauso blöd wie unsinnig. Dennoch hoffe ich, dass du diesen nicht in Worte fassbaren Gedankengang folgen konntest.
Ein freies Zahnrädchen in einem unendlichen Getriebe. Im Grund hast du recht, ich will so wenig Zeit und Energie an Mitmenschen vergeuden, welche nicht darum gebeten haben, und es auch nicht wollen. Dann beurteile ich (das Ego) die Situation, und vergeude dabei abermals Zeit und Energie an deren Analyse. Es einfach geschehen lassen.
Ich bewege mich im Kreislauf der Polarität. Es ist ein auf und ab, eine Welle die mich durchs Leben treibt. In einem Augenblick scheint es kein Ich zu geben, alles ist eins, und dann gibt es Momente, da bin ich, erlebe die Welt von inneren heraus, aus der Perspektive des Individuums.
Ich weiß nicht wie es bei dir ist, ob du ebenfalls zwischen diesen Sichtweisen wechselst, oder die Welt nur noch aus der nichtdualen Perspektive betrachtest?
Re: Essai: Die Wahrheit ist eine Lüge
von 1Alexander am 26.09.2014 12:03
@Norman
Natürlich nicht. Ich bin kein Heiliger. Ebenso bin ich zuweilen getrieben und nervös, wie alle anderen auch. Duale Sichtweisen sind nicht per se schlecht, sie helfen im Alltag. Das Problem beginnt wenn man seine Konzepte zu ernst nimmt.
Ich habe die Erfahrung, dass viele Menschen die Nichtdualität entweder ablehnen oder es als nutzlose Gedankenspielerein ansehen. Dabei sehe ist das intellektuelle/rationale Verständnis als Basis für alle weiteren Schritte. Hier gibt es sicherlich ein Manko der fernöstlichen Wege. Der Witz ist, dass man dies nicht in spirituelle, esoterische oder gar religöse/abergläubige Angelegenheit begreifen darf. In Wahrheit geht es um das pure Leben selbst. Was soll das heißen?
Es ist mit der Beschreibung darüber, aber wie mit einer Google-Suche nach einen Hardwareproblem im Internet. Es schreiben meist diejenigen, welche selber keine Ahnung haben. Die das Problem gelöst haben, sehen sich nicht mehr veranlaßt die Lösung wiederzugeben. Daher findet man über diese Frage sehr, sehr wenig. Ich handhabe das so: wer mich fragt, bekommt eine Antwort:
Was ist das, was man als nichtdualen, komplementativen, meinetwegen erleuchteten Zustand oder das Gewahrsein beschreibt?
Und was soll das bringen? Es gibt die verschiedensten Aussagen in der Art wie: "Dasein ist reine Freude" etc. Solche oder ähnliche Aussagen findet man bei Jesus, den Mystikern, buddhistischen Lehrmeistern, gelegentlich auch bei den merkwürdigen PseudoGuru´s um die Ecke und in den Büchern der Esoterikabteilungen. Diese Aussage sollte man nicht als Lehrsatz oder gar Imperativ sehen, sondern mal in der reinen Wortbedeutung: Dasein ist reine Freude.
Es gibt alte Menschen, welche sich offensichtlich nur daran freuen, dass sie noch da sind. Für eine jungen Menschen, welche noch Ziel zu verwirklichen glaubt, ist das schwer verständlich. Ebenso gibt es Säuglinge, welche offenbar nur das Dasein genießen. Das ist nicht das Resultat einer interlektuellen Erkenntnis. Es ist eine handfeste körperliche Erkenntnis. Das ist im Grunde schon die ganze Lehre. Der Skydriver, welche sich den körperlichen Kick holt, vollzieht das im Grunde nach. Allerdings beschränkt sich sein tolles Gefühl nur auf wenige Sekunden. Ich muß dagegen muß nicht vom Dach springen um in angenehme körperliche Zustände zu gelangen. Im Grunde geht es nur darum. Die Menschen streben immer nach angenehmen Zuständen. Ist es da ein Wunder, dass sich die historischen Weisheitlehren dies zum Kern haben, und den unmittelbaren und kürzesten Weg aufzeigen wollten?
So trivial ist das. Jetzt kommt eine abstrakte Beschreibung. Der Gewahrseinszustand ist der Zustand, in welchem die Trennung von Körper und Geist aufgehoben ist. Meinetwegen auch die Trennung von Person und Umwelt. Das ist eine Anleitung: Man horscht förmlich in sich hinein oder spürt sich selbst nach. Ich kann es nicht besser ausdrücken. Hilfreich ist es sich in diesem Moment die die Raumhaftigkeit (übrigens ein grenzenloses Wunder, worüber man nicht genug staunen kann) der Existenz bewußt zu machen.
Zur Verdeulichung wiederhole ich es mit anderen Worten: Man konzentriert sich kurz und nimmt seinen Körper im 3D-Raum war.
Hilfreich ist es vielleicht sich Begrenzungspunkte vorzustellen, welchen man kurz seine Aufmerksamkeit widmet. Etwa an den Schultern (größte Ausdehnung der Körpers in der Breite). So sollte es recht einfach gelingen, sein Körper in seiner voller Existenz zu spüren. Durch die kurze Konzentration ist der Geist nicht abgelenkt und eins mit dem Körper. Man kann sich als Hilfe auch auf die Körpersinne konzentrieren, fühlen, riechen, schmecken, hören. Wenn man das macht, spürt man das Leben in sich. Diesen Zustand kann ich mir sekundenschnell beliebig aufrufen. Beim Einkaufen, beim Arbeiten, beim Gehen, beim Sitzen. Hilfreich ist hierbei natürlich ein Mantra. Ich sehe das allerdings nur als kleine Merkhilfe an, als nettes Ritual und benutze es nur einmal als Einstieg, als Abkürzung des Weges. Ebenso ist mein "Mantra" keine "Zauberformel", sondern nur ein trivialer Satz.
Wer mal einen Meditationseinführungskurs besucht hat und sich dann im Alltag um Gewahrsein bemüht, kennt sicher folgendes Ergebnis: abends fällt einem ein, dass man ja den eigentlich tagsüber Gewahrsein üben wollte. Man stellt fest, dass man es im Alltag einfach vergessen hat. Man war mehr oder weniger den Tag über unbewußt, vielleicht unterbrochen von kurzen Momenten der Klarheit. Dann ärgert man sich. Hier liegt das Problem darin, dass man das "Freundvolle" der Kontemplation überhaupt noch nicht erfahren hat. Das kann man durchaus nur als angenehmes Körpergefühl verstehen. Wenn man einmal diese körperliche Erfahrung gemacht hat, dann gibt es kein Problem mehr mit der Erinnerung. Man will es immer wieder, wie der Skydriver der wieder vom Dach springen möchte.
Man stelle sich vor man sitzt vor einer Freundenmaschine, welche verschiede Knöpfe hat an denen man rumspielen kann. Danach kann man die Art und Intesität der Freunde einstellen. So ähnlich. Im Zustand des Gewahrseins kann man förmlichen an der "Körperchemie" oder seinen Gefühlszuständen rumschrauben. Die Asiaten haben des in ihrer perdantischen Art versucht zu sytematisieren (Dhyana) und ein großen Bohei darum gemacht. Aber man sollte das mal unter diesem Aspekt querlesen. Wenn hier von Verzückung und Glückseligkeit gesprochen wird, dann darf man das ruhig wörtlich nehmen, im Sinne von Körperempfindungen.
Europäisches Denken hilft hier natürlich weiter. Betrachtet man seine Gefühle und Impulse, dann kann man zu der Feststellung gelangen, dass das konditionierte Konzepte sind, welche mit Körperempfindungen einhergehen. Man glaubt Angst zu haben und eine entsprechende Körperempfindung stellt sich ein. Es könnte aber auch andersrum sein und die Körperempfindungen wird als Angst interpretiert. Tatsächlich gibt es keinen Unterschied. Mit dieser Erkenntnis kann man sehr viel anfangen.
Zunächst kann man sich von den eigenen Zwängen frei machen, indem man seinen Körperempfindungen nachforscht. Man hat eine Emotion und betrachtet bewußt seine Körperzustände und -reaktionen. Mit dem erweiterten Vermögen seine Körperzustände aktiv zu beinflussen wird man vollständiger Herr im eigenem Haus. Das ist zum einen eine schier unerschöpfliche Quelle der Kraft und des Verständnisses. Zweitens eine Spielwiese. Drittens braucht man keine externen Einflüsse um Glück, Freund und überaus angenehme Empfindungen zu erfahren.
Der Eremit in seiner Laubhütte dürfte nicht nach Weisheit, Erkenntnis oder Heiligkeit streben, sondern er hat einfach den Dreh raus, ohne zusätzliche Dinge glücklich zu sein. Das hat mit Bescheidenheit aber auch gar nichts zu tun. Das ist im Grund die höchste Stufe des Egoismus - aber auch des Verständnisses. Anderseits braucht man hierfür nicht Bettelmönch werden. Das kann man auch im normalen Leben und sich zusätzlich an den schönen Dingen des Lebens freuen.
Zusammenfassung: Um Gewahrseinzustände zu erreichen, ist vorab es extrem hilfreich sich zuvor auf interlektueller Ebene die Konzepthaftigkeit der dualen Zustände zu begreifen. Siehe Allan Watts. Das bläst die Traumgebilde unser Ansichten davon. Die körperliche Praxis ist dann ein Kinderspiel. In der Kagyü-Linie des tibetischen Buddhismus gibts es die Übertragungslinie Tilopa/Naropa/Marpa/Milarepa bis zum Gampopa dem Gründer die Linie. Allesamt interessante Figuren. Jedenfalls hat Tilopa der Legende nach, seinem Schüle Naropa mit einem Schuh auf den Kopf gehauen, worauf dieser dann Mahamudra erreichte. Lustige Geschichte. Da ist was dran. Oft hilft ein Schock um zu begreifen.
Um zum Ende zu kommen. Es ist kein Wunder das manche alten Leute nicht nur noch an ihren Dasein erfreuen. Für sie gibt es nichts mehr anzustreben, was deren Geist freier machen dürfte. Für sie offenbart sich dann die einfache Wahrheit, das Leben selbst eine körperliche Freude ist - wenn man darauf achtet! Wie gesagt da ist keine interlektuelle Einsicht, sondern eine körperliche Tatsache. Das kann man praktizieren.
Alte Leute, welche sich mit der Tatsache ihrer Vergänglichkeit nicht abgefunden haben und sich an ihre Pillenbox klammern sind da nur zu bemitleiden. Ich habe vor kurzem im Bekanntenkreis die Krankheit und das Sterben einer alten Frau beobachtet. Zuerst war Verzweiflung, Kampf und Widerstand, irgendwann vollzog sich der Wechsel, dann war die Frau nur noch gelassen und glücklich.Norman
Gelöschter Benutzer
Re: Essai: Die Wahrheit ist eine Lüge
von Norman am 27.09.2014 22:13@Alexander
da ich derzeit noch mit einigen anderen Projekten befasst bin, fasse ich mich heute hier kurz. In großen und ganzen kann ich deine Ausführungen nachvollziehen. Mir scheint, dass wir in dieser Thematik sehr ähnliche Weltbilder haben.