Realität versus Wirklichkeit
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Realität versus Wirklichkeit
von Darius am 06.05.2012 17:29Im allgemeinen Sprachgebrauch wird zwischen den Begriffen "Wirklichkeit" und "Realität" nicht unterschieden. Gegen die synonyme Verwendung beider Begriffe im Rahmen unseres Alltags ist nichts einzuwenden, jedoch im Rahmen einer naturwissenschaftlichen Diskussion erachte ich eine Differenzierung als wichtig.
Mir ist aufgefallen, dass hier in vielen Forenbeiträgen die Begriffe "Wirklichkeit" und "Realität" von synonym, über differenziert bis quergemischt verwendet werden. In Raphaels Sprachgebrauch hört man "Wirklichkeit" überhaupt nicht.
Meiner Meinung nach kann die inzwischen jahrtausende andauernde philosophische Debatte, in der versucht wird eine Grenze zwischen dem Realen (lat. realis (real) res -> Ding, Objekt) und dem Wirkenden (lat. actualitas, actus -> Handlung, Wirkung) zu finden, durch Raphaels Grundannahmen neu beleuchtet werden.
Mein Verständnis von "Wirklichkeit" und "Realität" sieht durch die Viaveto-Brille z. Zt. so aus:
Realität:
Realität wird mithilfe eines "Schnappschusses" von Informationen über Objekte zu einem bestimmten Zeitpunkt beschrieben. Es ist eine Momentaufnahme der Wirklichkeit erstellt mit den jeweils aktuell zur Verfügung stehenden Mitteln. Die dabei gewonnene Informationsmenge ist klein. Informationen über Wechselwirkungen unter den Objekten und Rückschlüsse auf potenzielle Neuformationen von Objekten (Entstehung neuer Objekte) können einer Momentaufnahme nicht entnommen werden. Anders gesagt: Allein das Feststellen des Vorhandenseins eines Objektes erlaubt es nicht Rückschlüsse auf die Eigenschaften seines Wirkens (seiner Wirklichkeit) zu ziehen. Die durch eine Bobachtung gewonnene Informationsmenge über den IST-Zustand der Objekte (Momentaufnahme), ist für solche Rückschlüsse zu klein.
Wirklichkeit:
Wirklichkeit wird mithilfe einer Abfolge von "Informations-Schnappschüssen", erstellt mehrmals innerhalb einer bestimmten Dauer, beschrieben. Eine Beschreibung der Wirklichkeit umfasst die am Vorgang beteiligten Objekte, ihre Wechselwirkungen und ihre durch Wechselwirkung gebildeten Formationen (neue Objekte). Informationsmenge, die für eine Beschreibung der Wirklichkeit benötigt wird, ist immer größer, als benötigte Informationsmenge, um eine Realität (die Existenz eines Objekts) zu beschreiben. Die durch mehrere, aufeinanderfolgende Bobachtungen gewonnene Informationsmenge über den WAR- und den IST-Zustands der Objekte (Abfolge von Beobachtungen), erlaubt es Rückschlüsse auf mögliche Realitäten (WIRD-Zustände, neue Objekte) zu ziehen.
Für mich folgt daraus noch folgendes: Um die Wirklichkeit beschreiben zu können, bedarf es mindestens zweier Realitäten. Erst durch den Vergleich mehrerer Realitäten kann eine Wirkung festgestellt werden, was erst dann Rückschlüsse auf die Wirklichkeit zulässt.
Daraus folgt:
Realität ist subjektiv, jeder hat eine.
Wirklichkeit ist objektiv, es gibt nur eine.
Mir stellen sich Fragen:
a) Welche der vielen bekannten philosophischen Abgrenzungen zwischen "Wirklichkeit" und "Realität" korrelieren mit Raphaels Axiomen am besten? Oder ist es gar notwendig beide Begriffe einer völlig neuen Diskussion zu stellen?
oder
b) Ist es bei ViaVeto überhaupt notwendig, solche Unterscheidung einzuführen / zu relativieren?
Re: Realität versus Wirklichkeit
von meimuna am 07.05.2012 04:27Wir nehmen über unsere Sinne Informationen aus der Realität auf .
Diese Informationen werden durch die begrenzte Aufnahmefähigkeit unseres Körpers gefiltert und dann durch das Gehirn interpretiert und diese Interpretation ist für uns die Wirklichkeit .
Ein System das erst nur eine kleinen Teil der Wechselwirkungen der Realität erfassen kann und diese dann auch noch Subejktive interpretiert kann keine verlässlichen Aussagen über die Realität machen .
Hier kommen dann Dogmen ohne die wir keine Wahrheitsuche unternehmen könnten sowie das was wir wahrnehmen ist die Realität und das was wir errinnern war sie .
Re: Realität versus Wirklichkeit
von Raphael am 07.05.2012 17:33@Darius:
Also verhält sich ein Foto zur Realität wie ein Film zur Wirklichkeit. Ich finde die Unterscheidung nicht schlecht. In diesem Sinne könnte man sagen, daß Wirklichkeit fortgesetzte Realität ist. In der Realität gibt es nur Objekte, die Wirklichkeit umfaßt auch dynamische Konzepte, d.h. Interaktionen von realen Objekten.
Damit habe ich allerdings auf sprachlicher Ebene ein Problem, denn ich sehe nicht, daß das Wort "Realität" in der Physik eine Mehrzahl besitzen kann (ähnlich wie Universum). Ich würde nicht sagen: "Erst durch Vergleich mehrerer Realitäten kann eine Wirkung festgestellt werden", sondern "Erst durch die fortgesetzte Beobachtung der Realität, also den Vergleich zweier "Schnappschüsse der Realität" kann eine Wirkung festgestellt werden." Die Wirklichkeit setzt sich also in unserem Kopf aus erinnerten Momentaufnahmen zusammen, nicht aber aus "Realitäten".
Dies ist aber nur ein kleiner Punkt. Was mich sehr stutzig gemacht hat, war Deine Schlußfolgerung am Ende:
Realität ist subjektiv, jeder hat eine.
Wirklichkeit ist objektiv, es gibt nur eine.
Du hast im Rückgriff auf meine Definitionen gesagt, daß die Realität nur aus Objekten besteht, was deren Form und Lokation wichtig macht, aber sonst nichts. Dies ist meiner Ansicht nach völlig objektiv (Objekt -> objektiv). Erst wenn in der Wirklichkeit dynamische Konzepte (Konzept -> subjektiv) zum Tragen kommen, also Interaktionen der realen Objekte, betreten wir das Reich der Subjektivität. Die Wechselwirkungen, die hier betrachtet werden, stellen sich je nach Wahl des Bezugsobjekts unterschiedlich dar. Will heißen: Wenn Du mit Deinem Auto 50 km/h fährst, ich auf der zweiten Spur 80 km/h und irgendein Raser auf der dritten Spur 140 km/h, dann ist seine Geschwindigkeit relativ zu Dir eine andere als relativ zu mir. Unsere Wirklichkeiten sind da subjektiv, hängen von unserem eigenen Bewegungszustand ab. Machen wir nur ein Foto von den drei Autos, ist alles objektiv. Wir sehen alle die gleiche Situation. Also ist Realität objektiv, Wirklichkeit subjektiv.
Re: Realität versus Wirklichkeit
von Darius am 07.05.2012 22:06@ meimuna:
So wie ich Dich versanden haben vertrittst du die Annahmen des sog. Konstruktivismus.
Ich bin mir nicht sicher, ob diese recht junge Definition von "Wirklichkeit" und "Realität" eine zufriedenstellende Abgrenzung zwischen beiden Begriffen schafft.
Mich persönlich stellen die Definitionen der konstruktivistischen Sichtweise nicht wirklich zufrieden.
Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es die verrückte Quantenmechanik war, die den Konstruktivismus populär und modisch machte.
@ Raphael:
Ja, diese Wortwahl ist zutreffender.
Eimer kalten Wassers über mein Haupt für diesen von mir begangenen Fehler! Ich habe auf sprachlichter Ebene tatsächlich (hehe) Realität und Wirklichkeit verwechselt. Das kommt davon, weil ich mich bei meinen Überlegungen zu sehr von der Wortherkunft beider Begriffe habe beeinflussen lassen: Real -> Ding, Wirkung -> Wirklichkeit
Hier die korrigierten Definitionen:
Wirklichkeit:
Wirklichkeit wird mithilfe eines "Schnappschusses" von Informationen über Objekte zu einem bestimmten Zeitpunkt beschrieben. Es ist eine Momentaufnahme der Realität erstellt mit den jeweils aktuell zur Verfügung stehenden Mitteln. Die dabei gewonnene Informationsmenge ist klein. Informationen über Wechselwirkungen unter den Objekten und Rückschlüsse auf potenzielle Neuformationen von Objekten (Entstehung neuer Objekte) können einer Momentaufnahme nicht entnommen werden. Anders gesagt: Allein das Feststellen des Vorhandenseins eines Objektes erlaubt es nicht Rückschlüsse auf die Eigenschaften seines Wirkens (seiner Realität) zu ziehen. Die durch eine Bobachtung gewonnene Informationsmenge über den IST-Zustand der Objekte (Momentaufnahme), ist für solche Rückschlüsse zu klein.
Realität:
Realität wird mithilfe einer Abfolge von "Informations-Schnappschüssen", erstellt mehrmals innerhalb einer bestimmten Dauer, beschrieben. Eine Beschreibung der Realität umfasst die am Vorgang beteiligten Objekte, ihre Wechselwirkungen und ihre durch Wechselwirkung gebildeten Formationen (neue Objekte). Informationsmenge, die für eine Beschreibung der Realität benötigt wird, ist immer größer, als benötigte Informationsmenge, um eine Wirklichkeit zu beschreiben. Die durch mehrere, aufeinanderfolgende Bobachtungen gewonnene Informationsmenge über den WAR- und den IST-Zustands der Objekte (Abfolge von Beobachtungen), erlaubt es Rückschlüsse über dynamische Vorgänge (WIRD-Zustände, neue Objekte) zu ziehen.
Daraus folgt für mich:
Wirklichkeit ist subjektiv, jeder hat eine.
Realität ist objektiv, es gibt nur eine.
Danke, ist mir kürzlich dank ViaVeto eingefallen. Bei dieser Unterscheidung fällt eine mich interessierende Größe auf, und zwar die "Informationsmenge". Aber ich weiß diese Größe in Bezug auf "Realität" und "Wirklichkeit" noch nicht richtig zu deuten. (Stichwörter meiner aktuellen, diesbezüglichen Überlegungen: "Beobachtung (Meßung, Wahrnehmung, Beobachter) und Informationsverlust beim Symmetriebruch (Phasenübergang, Aggregatzustandswechsel, Entladung))
Re: Realität versus Wirklichkeit
von Raphael am 08.05.2012 06:06Jetzt macht es für mich weniger Sinn. Du hast die Bedeutungen der beiden Worte "Realität" und "Wirklichkeit" ausgetauscht. Warum? Ich fand die Bedeutungen vorher gut - Realität als Foto, Wirklichkeit (von Wirkung) als Film. Das war sinnvoll. Was nicht paßte, war die Zuteilung der Adjektive "objektiv" und "subjektiv". Diese hätte man meiner Meinung nach tauschen sollen, nicht die Bedeutungen der Hauptworte. Jetzt stimmen die Bedeutungen nach meinem Verständnis nicht mehr, und die Zuteilung von "objektiv" und "subjektiv" paßt auch nicht zur jeweiligen Bedeutung.
Mit dem Wort "Information" oder "Informationsmenge" muß man heute in der Physik sehr vorsichtig sein, da die Informationstheorie von Shannon, die eigentlich eine Kommunikationstheorie ist, in die Physik getragen wurde und hier im Zusammenhang mit der Quantenpseudotheorie, ihren bewußten Beobachtern, dem kartesischen Dämon und dem Entropiewahn fröhlichen Unsinn feiert. Ich bin dafür, das Wort "Information" in seiner einfachen, alltäglichen Bedeutung zu gebrauchen und daraus kein Fachwort mit einer ausgefeilten Bedeutung zu machen. Ist natürlich nur meine Meinung.
Re: Realität versus Wirklichkeit
von Darius am 08.05.2012 19:06„schäm-o-schäm" für die gestiftete Verwirrung! "Zurück ans Reißbrett", sage ich mir. Um die Diskussion nicht noch verwirrender zu machen, spare ich mir eine dritte Korrektur. Die erste Version inklusive Deiner Beanstandungen ist tauglich.
Sollte ich künftig auf die Begriffe "Realität" und "Wirklichkeit" zurückgreifen, werde ich sie in der Unterscheidung:
Realität -> objektiv -> Momentaufnahme (Foto)
Wirklichkeit -> subjektiv -> fortgesetzte Beobachtung (Film)
verwenden.
Den Begriff "Information", genauer genommen "Informationsverlust beim Symmetriebruch" spiele ich im Kopf auf philosophischer Ebene durch. Mit der quantenmechanischen Interpretation von "Information" kann ich auch nicht viel anfangen, sie führt zu unvereinbaren Absurditäten.
Vielmehr beschäftigt mich die Frage, ob beim Symmetriebruch eines physikalischen Systems (z. B. Eiswürfel auf Herdplatte, Plasmaentladung -> halt bei Formierung neuer Objekte) Informationen über den physikalischen Zustand eines Systems endgültig verloren gehen (???), oder ob sie doch in dem neu entstandenem Objekt eincodiert bleiben und erforschbar sind (je nach verwendeter Beobachtungsapparatur).
Ich muss nebenläufig sagen, dass ich die Plancksche Größe und die Unschärferelation ablehne.
Materie existiert in vielen Aggregatzuständen. Ein Aggregatszustandswechsel (Phasenübergang) geschieht in der letzten Phase eines Übergangs naturgemäß beschleunigter und somit ungeordneter. Wegen dieser "Vorgangs-Beschleunigung", die immens werden kann (z. B. Atombombe), ist es so, dass manche Vorgänge für die Beobachtungsapparatur scheinbar unsichtbar bleiben. Zudem zerstört ein Phasenübergang oft die alte Form und andere alte Eigenschaften eines Objekts. Die Information über den vorherigen physikalischen Zustand des Objekts ist verloren (???). Vieles in der Natur ist umso schwerer zu interpretieren, je mehr Objekte beobachtet werden, bei denen der aktuelle Aggregatzustand zwar erforschbar (sichtbar) ist, aber Informationen über das Objekt aus seinem vorangegangenen Aggregatzustand unsichtbar bleiben.
Dadurch, dass während eines Phasenübergangs nie alle Informationen "ausgelesen" werden können (Mikro-, wie Makrowelt) und dadurch, dass wir selbst Teil eines bestimmten Aggregatzustands sind, werden unseren Möglichkeiten der Wahrheitsfindung natürliche Grenzen gesetzt. Diese Problematik kennen wir ja. Wo diese Grenzen aber liegen, hängt lediglich von der Qualität der Experimente und der Beobachtungsapparatur ab.
Wie sieht es aber mit einem Aggregatszustandswechsel in der Realität aus? Vorhin sagte ich: "[...] ob beim Symmetriebruch eines physikalischen Systems Informationen über den physikalischen Zustand eines Systems endgültig verloren gehen (???), oder ob sie doch in dem neu entstandenem Objekt einkodiert bleiben [...].
Ich frage mich:
Bleibt in der Realität nach einem Phasenübergang in dem neuen Objekt eine Restspur von Wechselwirkungen übrig, aus der rückblickend der Verlauf des Phasenübergangs selbst und auch die alten physikalischen Eigenschaften des Objekts erforschbar wären? Oder: Geht in der Realität diese physikalische Rest-Wechselwirkung aus dem alten Zustand auch tatsächlich physisch verloren?
Ich frage mich, ob es nicht sein könnte, dass solche Rest-Wechselwirkungen in der Realität nach Abschluss eines Phasenübergangs physisch völlig verloren gehen?
Ich behaupte mal: Bricht die physikalische Symmetrie eines Objekts zusammen, bevor die physikalische Realität des Objekts vor dem Bruch beobachtet wurde (Informationen wurden nicht gesammelt), bleibt er auch objektiv gesehen unerforschbar, weil „seine Vergangenheit" der absoluten Zensur des Symmetriebruchs zum Opfer fiel.
Jannik
Gelöschter Benutzer
Re: Realität versus Wirklichkeit
von Jannik am 12.05.2012 20:51Du sagst es liegt an der Messapparatur wie genau die Ergebnisse sind. Jetzt stellen wir uns den Fall mit dem Eis auf der Herdplatte vor. Das Eis hat eine gewisse Struktur, wenn es schmilzt, dann verliert es diese Struktur. Die Frage ist also nun ob es ab dem Moment wo das Eis schmilzt bzw. während oder nach dem Schmelzvorgang, Rückschlüsse auf seine ursprüngliche Struktur geben kann.
Wir übertragen dieses Experiment auf ein Mikado spiel. Hier ist leichter zu erkennen das wir auch nach annehmlich völliger Zerstörung einer Struktur, Rückschlüsse auf den Ausgangszustand schließen können. Wenn mann die Stäbchen beim Mikado spiel fallen lässt gilt wie immer das Prinzip von Ursache und Wirkung: Fällt ein Stab richtung Boden und wird nicht weiter beeinflusst (bsp: durch andere ihm in die Quere kommende Stäbchen), dann fällt er ganz normal zu Boden. Es kann aber auch sein, dass dieser Stab mit einem anderen Stäbchen kollidiert, wodurch seine Fallrichtung geändert wird. Wenn wir dies bei allen Stäbchen beachten, könnten wir eine Vorhersage machen wie der Ursprungszustand war. Hier wurde die Struktur durch das Loslassen der Stäbchen zerstört. Nun wieder übertragen auf den Eiswürfel:
Was ist ein Eiswürfel? Ein Eiswürfel ist Wasser mit einer Bestimmten Struktur und anderen Eigenschaften, aber wiederum Anschaulicher währe ein Salzkristall. Schlussendlich geht es um Bindungen zwischen Molekülen, ob nun kovalnte- oder Iionenbindungen spielt erstmal keine Rolle, deshalb ist ein Salz zur Klärung der Frage anschaulicher. Wenn ein Salz fest ist (gleicher zustand wie gefrorenes Wasser) Dann bildet sich ein sehr symmetrisches Muster. Da es Ionenbindungen sind, sind die Anziehungs- bzw. Abstoßungskräfte gleicher Ionen gleichgroß. Die Teilchen sortieren sich also wenn sie fest werden aufgrund ihrer Ladungsunterschiede. Ich habe extra Salz gewählt, weil Salze die übersichtlichsten Stukturen haben. Im Endeffekt ist es aber mit jedem Stoff das gleiche. Weiter: Nun schmilzt das Salz und verliert seine Struktur, vorher konnten wir die Position jedes einzelnen Ions in dem Salz bestimmen (mit gegebener Messapparatur), nun ist das aber immer noch so. Wir können z.b. ausschließen, dass das "linkeste" Ion nach der Schmelze ganz rechts sein wird. Das ist eher unwahrscheinlich. Ab jetzt wird es für uns schwer weiteres nachzuvollziehen, aber nehmen wir an wir hätten jede erdenkliche Messmethode, dann könnten wir trotzdem weiter berechnen wie das Salz bzw. Eis zerfließt, wenn man alle Parameter wüsste, die diese Rechnung benötigen würde und es wären unendlich viele. Aber weil hier genauso wie überall anders "Ursache und Wirkung" greift, wäre es möglich genauere Rechnungen anzustellen, wie gesagt es kommt auf die Messmethoden an, anhand derer man genauer messen kann.
Wenn wir also berechnen wollten wie ein Mikadospiel fallen wird, dann müssten wir Werte für Luftdruck, Erdrotation, Erdstöße, Elektromagnetische wechselwirkungen, feinstaubpartikel, anstoßgeschwindigkeit,etc. mit einbeziehen um genau zu sein. Aber was ist genau? Wenn es unendlich viele Faktoren gibt die ein Ereigniss beeinflussen, und die gibt es, wegen offenes System, dann müsste man eine unendlich lange rechnung machen um das genauste ergebnis zu erhalten. Weil das aber schlichtweg unmöglich ist, kommen wahrscheinlichkeiten ins spiel.
Wenn also rein theoretisch alles berechenbar ist, dann muss auch die Struktur des Ursprünglichen Eiswürfels in der schmelze enthalten sein und das ist sie! Die Änderung des Agregatzustandes wird durch "Energieumwandlung" nachweisbar. D.h: schmilzt ein stoff, so nimmt er "Energie auf". Für jeden Stoff gibt es eine bestimmte Menge an "Energie" um eine gewisse Menge davon zu schmelzen. Die molare Standardbildungsenthalpie beispielsweise, ist die Energie bzw. Energieänderung, die herbeigeführt wird bzw. werden muss, um eine bestimmte Menge eines Bestimmten stoffes zu erzeugen.
Durch die Temperaturänderung lässt sich also nachweisen dass ein stoff seinen agregatzustand geändert hat. Zur Rückverfolgung der Struktur der Teilchen muss man jetzt nur wieder Mikado beachten, es kommen natürlich noch elektromagnetische Phänomene etc. hinzu, die die Teilchenbewegungen beeinflussen, aber dennoch man könnte die geschichte des Eiswürfels bis zu seiner entstehung aus irgendwelchen andern stoffen zurückverfolgen, sprich ins unendliche. Weil solche Messapparaturen die sowas machen aber undenkbar sind, bleibt das bloße Theorie.
Eine Frage: Wieso sollte auf einmal nur durch die änderung eines zustandes information verloren gehen? Zustandsänderung ist auch nur eine Information.
Re: Realität versus Wirklichkeit
von Raphael am 13.05.2012 09:23Um beim Mikado-Spiel zu bleiben: Du kannst unmöglich wissen, wie die Mikadostäbe vor dem Fallenlassen angeordnet waren. Du weißt nicht, ob es während des Fallens einen Luftzug gab, aus welcher Höhe die Stäbe fielen, wie sie zuvor angeordnet waren, ob sie mit Schwung auf den Boden geschleudert wurden, ob sie überhaupt gefallen sind etc. etc. Die unbeobachtete Vergangenheit ist unserem Wissen für immer und alle Zeiten unzugänglich. Man kann sich eine Geschichte der Mikadostäbe zusammenreimen, wenn man enorme Annahmen macht, aber man kann niemals die Vergangenheit der Mikadostäbe kennen.
Gleiches gilt für absolut jedes reale Objekt. Man kann niemals alles über ein Objekt wissen. Und aus dem, was man weiß, kann man in die Vergangenheit extrapolieren und sich eine Geschichte des Objekts zusammensetzen. Wir müssen genauestens zwischen Vergangenheit und Geschichte unterscheiden. Das gilt nicht nur in der Physik, sondern auch ganz besonders in den Geschichtswissenschaften.
Du hast also vollkommen recht, Jannik, wenn Du sagst, daß die Realität ein offenes System ist. Und ein offenes System kann man nicht berechnen. Nur idealisierte, unrealistische geschlossene Systeme kann man berechnen. Und auch diese werden z.B. auf molekularer Ebene so kompliziert, daß man z.B. die Bewegungen von einer Million Gasmolekülen nur noch wahrscheinlichkeitsmäßig beschreiben kann.
Man verfolgt Geschichte nicht zurück, man erstellt Geschichte, und zwar aufgrund von Annahmen. Und je weiter man diese Geschichte zurücktreiben will, desto mehr Annahmen muß man machen, bis man sich schließlich (sehr schnell!) im undurchsichtigen Nebel dutzender Annahmen und völliger Ungewißheit verliert.
Gegenfrage: Gibt es ein Objekt, dessen Zustand sich nicht kontinuierlich ändert?
Jannik
Gelöschter Benutzer
Re: Realität versus Wirklichkeit
von Jannik am 13.05.2012 13:54Correcto mundo, man kann es nicht wissen, trotzdem lässt sich von der Theorie her alles genaustens ableiten. In der Praxis wird dies aber niemals möglich sein. Das soll es auch garnicht, es geht hier lediglich um das Verständnis von Zusammenhängen. Wenn wir unsere Axiome beachten, dann führt dies zu der Erkenntnis, dass das Universum ein Kettengeflecht mit unendlich vielen unendlichen Ketten und Kettengliedern ist (um nicht zu sagen, die Erkenntnis führt zu den Axiomen). Sie hängen alle aneinander und das eine beeinflusst das nächste und so weiter. Eine Welt mit unendlicher Wechselwirkung.
Niemals können wir etwas GENAU bestimmen! Alles handelt sich um Ereignisse mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Abgesehen von abstrakter Mathematik lässt sich nichts genau bestimmen. Nur in Mathe können wir sagen "1+1=2".
Sobald wir dies auf unseren Alltag übertragen wollen, so befinden wir uns wieder in einem Nebel von Wahrscheinlichkeiten.
Sehr schönes Beispiel ist das Konfidenzintervall in der Mathematik. Dabei geht es darum den Erwartungswert einer Stichprobe zu bestimmen. Angenommen man wirft einen Würfel 100mal (je länger die Stichprobe umso genauer der Erwartungswert) bei jedem Wurf ist die Wahrscheinlichkeit (p) 1/6 eine 1 zu werfen. Der Erwartungswert ist dann der Mittelwert von 100 Würfen. Im Idealfall läge er bei genau 3,5. Das Konfidenzintervall ist nun der Bereich in dem der eigentliche Erwartungswert mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit liegt. D.h: Der Wert den wir suchen, ist in diesem Fall 3,5 weil das der Erwartungswert eines Würfels mit 6 Flächen ist (ungenau formuliert). Nun kann es aber sein, dass wir bei diesen 100 Würfen einen Durchschnitts- bzw. Mittelwert von 2,0 erhalten. Das hieße wir hätten mehr Zahlen unter 3,5 gewürfelt als darüber. Das ist absolut möglich, denn so lange eine Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, kann ein Ereignis eintreten. Wir könnten auch bei 100 Würfen nur 1en werfen, unwahrscheinlich aber möglich. Anlässlich unserer Stichprobe bei der wir nun einen Mittelwert von 2,0 geworfen haben, wollen wir nun wissen mit welcher Wahrscheinlichkeit der wirkliche Erwartungswert in der "Nähe" von 2,0 liegt. Dafür gibts nun einen bestimmten Rechenweg, der ist nun aber unwichtig. Wir können mit 100% Wahrscheinlichkeit sagen, dass der Erwartungswert zwischen 1 und 6 liegt, da 1-6 alle Zahlen sind die geworfen werden können. Das Konfidenz- oder Vertrauensintervall wäre nun ein 100%iges Vertrauensintervall, dass sich von 1-6 erstreckt. Ein 95%iges Konfidenzintervall würde nun angeben, dass der Erwartungswert zu 95% in einem Bereich von vielleicht 2-5 liegt. Das hängt mit der Standardabweichung vom Erwartungswert ab, (s. Gausssche Verteilungskurve). Wir könnten nun das Intervall immer kürzer fassen, aber müssten wir zugleich in kaufnehmen, dass die Wahrscheinlichkeit sinkt, den Erwartungswert wirklich dort anzutreffen.
Aus diesem Beispiel lernen wir, dass wir nur genaue Angaben machen können, wenn wir alle Möglichkeiten mit einbeziehen!
wir können nur sagen, dass der Erwartungswert unseres Experimentes in einem bereich von 1-6 liegt, wenn 1-6 der bereich des Möglichen ist. Ansonsten müssen wir mit Wahrscheinlichkeiten leben.
Jannik
Gelöschter Benutzer
Re: Realität versus Wirklichkeit
von Jannik am 13.05.2012 14:26Und als Antwort auf deine "Gegenfrage" Raphael:
Nein es gibts nichts was nicht dauerhaft seinen Zustand ändert, wenn auch nur minimal, also ist das auch nichts besonderes wenn ein Eisblock schmilzt. Nichts geht an information verloren aber trotzdem bleibt "es" unergründlich.
Neue Frage: Gibt es einen absoluten Temperatur Nullpunkt? bei 0°Kelvin, wie sieht es da mit Zustandsänderung bzw. Zeit aus? Zeit beschreibt Zustandsänderungen, aber wenn sich der Zustand nicht ändert? Ich komme grad nicht auf die Antwort vielleicht kann jemand den Gedanken weiterführen